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Den Schlichterspruch von 0,9 Prozent wollen die Mediziner nicht hinnehmen


Von Montag an sollen die Krankenkassen ihre "Nadelstiche" spüren. Patienten sollen zunächst verschont bleiben. Im Steit um höhere Honorare erhöhen die 150.000 niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten den Druck. Sie fordern 11 Prozent mehr Geld. Der Gesundheitsökonom Prof. Dr. Stefan Greß macht ihnen wenig Hoffnung.

Einem Allgemeinmediziner bleiben laut Honorarbericht der Kassenärztlichen Bundesvereinigung pro Monat durchschnittlich etwas mehr als 5000 Euro netto, vielen Fachärzten deutlich mehr. Jammern die Kassenärzte auf hohem Niveau? Prof. Dr. Stefan Greß: Es gibt bei den Kassenärzten Berufsgruppen, die deutlich unter diesem Durchschnitt liegen, beispielsweise die Psychotherapeuten. Aber natürlich verdienen manche Ärzte auch wesentlich mehr. Das Problem ist nicht die Vergütung insgesamt, sondern die Verteilung. Wir haben regional und auch zwischen den Fachgruppen extrem große Unterschiede. Momentan erhebt die KBV Honorarforderungen, die so hoch sind, dass am Ende auch für diejenigen, die wenig verdienen, noch ein ordentliches Plus herausspringt. Eigentlich müssten also die Psychotherapeuten gegen die Radiologen auf die Barrikaden gehen. Warum wird diese Diskussion denn - zumindest öffentlich - nicht geführt?

Greß: Welche Fachgruppe wie viel Geld bekommt, entscheiden die Ärzte untereinander. Im Rahmen eines demokratischen Prozesses in Vertreterversammlungen. Und da sind eben manche Facharztgruppen durchsetzungsfähiger als andere. In der Vergangenheit waren es meist die Allgemeinmediziner, die relativ schlechte Karten hatten, die haben aber in den vergangenen Jahren deutlich aufgeholt. Das war ein Stück weit auch politisch gefordert. Auch Ärzte und Ärztinnen in manchen Bundesländern, die in der Vergangenheit etwas benachteiligt waren, haben ordentliche Zuschläge bekommen. Die Politik kann also schon etwas steuern, aber in erster Linie ist das Sache der Ärzte untereinander. Die derzeitige Diskussion lenkt in der Tat ein Stück weit davon ab. Warum haben einzelne Berufsgruppen größeres Gewicht in diesen Gremien? Greß: Weil sie zum Beispiel untereinander Bündnisse gebildet haben. Ist die Forderung nach elf Prozent mehr Geld angemessen? Greß: Das kann man von außen immer schwer beurteilen. Die Ärzte fühlen sich schlecht behandelt und schlecht bezahlt. Das nagt an ihrem Selbstverständnis. Die Mediziner argumentieren unter anderem damit, dass die Kassen momentan ordentliche Überschüsse erwirtschaften. Und von diesem Kuchen möchten die Ärzte ein Stück abbekommen. Allerdings ist es ja nicht so, dass es in den vergangenen Jahren keine Einkommenszuwächse gegeben hat. Knapp 22 Milliarden Euro haben die gesetzlichen Kassen auf der hohen Kante. Wie sollte dieses Geld genutzt werden? Für Beitragssenkungen? Greß: Ein erheblicher Teil dieser Überschüsse sollte als Rücklage dienen. Wenn sich die Konjunktur eintrübt - und da"rauf deuten einige Indikatoren schon hin, wird sich das auf den Arbeitsmarkt und damit auch auf die finanzielle Situation der gesetzlichen Kassen niederschlagen. Natürlich wecken solche Reserven Begehrlichkeiten bei den Leistungserbringern, nicht nur bei den Ärzten, auch in den Krankenhäusern und bei den Arzneimittelherstellern. Aber die Ärzte sollten jetzt nicht erwarten, dass sie davon viel abbekommen. Die Ärzte argumentieren, es ginge nicht um das Einkommen des einzelnen Mediziners, sondern um eine angemessene Ausstattung der Praxen. Decken die angebotenen 0,9 Prozent den Anstieg der Praxiskosten? Greß: Was ist angemessen? Insgesamt - auch im internationalen Vergleich - haben wir eine relativ gute technische Ausstattung in den Praxen der niedergelassenen Haus- und Fachärzte. Wenn die Ausstattung ausgebaut wird, steigen auch die Kosten wieder, denn die Technik muss sich rechnen. Deshalb bin ich nicht sicher, ob hier weiter investiert werden sollte. Die zweite Frage ist, ob alle Kosten, die bei den Ärzten anfallen, erstattet werden sollten. Damit gehen meiner Ansicht nach Anreize für eine effiziente Organisation von Praxen verloren. Was meinen Sie damit konkret? Greß: Eine wichtige Frage ist doch, wie die ärztliche Tätigkeit künftig organisiert sein wird. Wir sehen einen Trend zu größeren Einheiten, hin zu Gemeinschaftspraxen. Auf diese Weise kann wirtschaftlicher gearbeitet werden und es bleibt unterm Strich mehr übrig. Auch in der Vergütung von Kassenleistungen und privaten Behandlungen gibt es krasse Unterschiede und damit falsche finanzielle Anreize. Brauchen wir dieses Nebeneinander zweier Krankenversicherungssys"teme überhaupt? Greß: Nein, das brauchen wir nicht. Zumindest brauchen wir keine zwei unterschiedlichen Vergütungsordnungen. Das setzt Anreize zur bevorzugten Behandlung von Privatpatienten. Deshalb plädiere ich schon lange dafür, für privat Versicherte etwas weniger und für gesetzlich Versicherte etwas mehr zu zahlen, um zu einem einheitlichen Vergütungsniveau zu kommen. Ohne dass die Ärzteschaft insgesamt finanzielle Einbußen erleiden muss. Ärzte, die heute viele Privatpatienten versorgen, hätten dadurch natürlich ein geringeres Einkommen - zugunsten von Praxen mit mehr Kassenpatienten. Das wäre sicher auch ein wünschenswerter Effekt, weil er ländliche Regionen attraktiver macht. Mehr als 70 Prozent der Kniespiegelungen gelten als überflüssig, und davon sind laut einer neuen Studie 39 Prozent mangelhaft durchgeführt. Kann man von einer Industrialisierung der Medizin sprechen, die die Gesundheit der Menschen gefährdet? Greß: Das gilt sicher eher für Krankenhäuser als für die ambulante Versorgung, weil dort auch die finanziellen Anreize entsprechend gesetzt sind. Wir sehen in den Krankenhäusern in manchen Bereichen einen starken Anstieg der Fallzahlen - etwa bei künstlichen Hüft- und Kniegelenken. Und Studien zeigen, dass nicht nur die demografische und die Krankheitsentwicklung dafür verantwortlich sind. Hier spielt in erster Linie die Vergütung eine Rolle. Wie muss ein effizientes und faires Honorarsystem Ihrer Ansicht nach aussehen? Greß: Ich denke, dass wir in der hausärztlichen Versorgung stärker auf Pauschalen setzen müssen, die in bestimmten Bereichen durch Einzelleistungsvergütungen ergänzt werden, - etwa bei Impfungen. In der fachärztlichen Versorgung wird es sicher weiterhin einen Mix geben müssen aus Fallpauschalen und Einzelleistungsvergütungen. Was wir immer haben werden, sind Mengenbegrenzungen, denn die Ressourcen sind nicht unendlich. Fragen muss man aber auch, ob das Verfahren, mit dem Honorare festgelegt werden, also die Verhandlungen zwischen Ärzten und Kassen, noch zukunftsträchtig ist. Ich halte eine stärkere politische Steuerung durchaus für sinnvoll. Das war auch in den vergangenen Jahren bereits zu beobachten. Vor der Bundestagswahl 2009 gab es das klare politische Signal, dass die Ärzte noch einmal einen großen Schluck aus der Pulle bekommen sollen. Und auch jetzt hat der Bundesgesundheitsminister eine Aufsichtspflicht. Er kann solche Beschlüsse beanstanden. Politischer Einfluss spielt grundsätzlich eine große Rolle, aber jetzt wird der Schwarze Peter in den Bewertungsausschuss geschoben. Das ist für die Politik natürlich bequem. Ich würde mir wünschen, dass die Politiker größere Verantwortung übernehmen. Dafür sind sie schließlich gewählt worden. In der aktuellen Diskussion geht es nur um Geld. Muss nicht - gerade im Hinblick auf die Abrechnung - über einen massiven Bürokratieabbau gesprochen werden, damit Ärzte mehr Zeit für Patienten haben? Greß: Ich weiß nicht, wie viele Ärzte ihre eigene Abrechnung überhaupt verstehen. Es muss Vereinfachungen im Vergütungssystem geben. Hausärzte könnten zum Beispiel pro eingeschriebenem Patienten eine Pauschale bekommen -- für einen längeren Zeitraum. Damit haben andere Länder gute Erfahrungen gemacht. Auch bei Fachärzten sind sicher Vereinfachungen denkbar. Ich sage aber den Ärzten auch immer: Tut euch zusammen und stellt jemanden ein, der sich nur mit Abrechnungen beschäftigt. Das ist natürlich auf dem Lande oft nicht möglich, aber in Städten sind so auch kurzfristig Synergie-Effekte erreichbar. Klaus Reinhardt, Vorsitzender des Ärzteverbandes Hartmannbund, hat konkrete Vorschläge gemacht, nämlich eine Kostenerstattung inklusive eines Eigenanteils der Patienten, der auch die Zahl der Arztbesuche steuern könnte. Unterstützen Sie diese Forderung? Greß: Wenn Mediziner von Kostenerstattung sprechen, dann meinen sie in der Regel die Abrechnung nach der Gebührenordnung für Ärzte, also die privatärztliche Vergütung. Allerdings dürfen die gesetzlichen Krankenkassen dann nur das erstatten, was die Leistung bei ihnen gekostet hätte. Dies wäre für die Versicherten deutlich teurer als die Praxisgebühr. Deshalb halte ich davon nicht allzu viel. Alle Erfahrungen aus dem In- und Ausland zeigen zudem, dass die Versorgung durch die Kostenerstattung nicht effizienter wird. Müssen wir uns auf Praxisschließungen einstellen oder erwarten Sie noch einen Kompromiss? Greß: Kurzfristig sehe ich keine Einigung. Aber wenn sich die Wellen ein bisschen geglättet haben, wird es hinter den Kulissen Gespräche geben zwischen Politik, Kassen, Ärzten und dem Schlichter. Dann wird es wohl einen Kompromiss geben, der aber immer noch weit von dem entfernt sein dürfte, was die Ärzte als gerecht empfinden. Ich halte es für problematisch, dass die Ärzte die Verhandlungen ganz abgebrochen haben, bevor über die Menge der Leistungen gesprochen worden ist. Da hätte es durchaus noch Potenzial gegeben. Aber die Unzufriedenheit ist wohl zu groß. Für die Kassenärztliche Bundesvereinigung ist das jetzt sicher eine schwierige Situation. Zumal KBV-Chef Andreas Köhler selbst mit einer nicht unerheblichen Gehaltserhöhung von sich reden gemacht hat. Das wird seine Position in der Ärzteschaft nicht verbessern.




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